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Kalenderblatt
2. Oktober

Sonntag Nachmittag in Kapstadt. Herr Surbier hat seine Brille verlegt.

Kalenderblatt vom 02. Oktober
“Sonntag Nachmittag in Kapstadt. Herr Surbier hat seine Brille verlegt.”
“Sunday afternoon in Capetown. Mr. Surbier has mislaid his glasses.”
“Domingo por la tarde en la Ciudad del Cabo.  Señor Surbier ha traspapelado suas gafas.”

Tusche auf Aquarellpapier ca. 15 x 21 cm

Ein scheinbar verspielter Strich, ein Tanz von Linien, die sich zu einer geheimnisvollen Szenerie verweben. D                                                                    as Bild zieht den Betrachter sofort in einen Zwischenraum aus Realität und Imagination.

Was löst es aus? Neugier, Schmunzeln, aber auch ein leises Unbehagen. Die Linien sind frei und gleichzeitig verdichtet, manche wirken wie Notizen des Unterbewusstseins, andere wie rhythmische Muster, die an afrikanische Gewebe erinnern. Es entsteht eine lebendige, fast vibrierende Atmosphäre, die zwischen Leichtigkeit und Irritation schwingt.

Die Geschichte ist schnell geboren: Herr Surbier, der seine Brille sucht, ist vielleicht mehr als eine Figur. Er steht symbolisch für den modernen Menschen, der in einer Welt voller Muster, Eindrücke und Strömungen den Überblick verliert. Die Brille, Sinnbild für Klarheit und Orientierung,  ist abhandengekommen. Zurück bleibt ein Versuch, die Welt ohne gewohnte Filter zu sehen: verschwommen, chaotisch, aber voller neuer Entdeckungen.

Das Werk stellt Fragen: Was geschieht, wenn wir unsere gewohnte Perspektive verlieren? Was sehen wir, wenn wir nicht mehr fokussieren können? Ist die „Unschärfe“ vielleicht ein Tor zu einer tieferen Wahrheit?

Auf emotionaler Ebene lässt sich das Bild als Einladung lesen, die Kontrolle aufzugeben und sich dem Spiel der Linien hinzugeben. Spirituell könnte es ein Hinweis sein, dass Klarheit nicht immer aus Präzision entsteht, sondern aus dem Vertrauen ins Offene. Sozial und politisch gesehen könnte man in den Linien auch die Komplexität einer Gesellschaft erkennen,  zersplittert, dynamisch, miteinander verwoben.

Die Stimmung passt perfekt zur Intention des Titels: augenzwinkernd, poetisch, offen für Mehrdeutigkeiten. Der Sonntag in Kapstadt wird nicht als Postkartenidyll gezeigt, sondern als surrealer Zustand, in dem Orientierung und Orientierungslosigkeit ineinanderfließen.

Dieses Werk wirkt wie ein Spiegel, der uns auffordert, uns selbst zu fragen: Wo habe ich meine Brille verlegt und was entdecke ich, wenn ich trotzdem weitersehe?

Gerade diese Mehrdeutigkeit macht das Bild zu einem faszinierenden Sammlerstück. Es spricht nicht nur den Verstand, sondern auch Herz und Bauch an  und genau darin liegt seine Kraft: Es bleibt, es beschäftigt, es erzählt immer wieder neu.

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