
Kalenderblatt zum 10. September
“Auflösung der Zeit”
“Liquidation of time”
“La liquidación del tiempo”
Acryl und Acrylpaste auf Aquarellbütten ca 15 x 21 cm
Es ist, als würde man in ein altes Gemäuer eintreten, dessen Wände von der Zeit selbst durchfurcht sind und mitten in diesem zerbröckelnden Raum beginnt etwas zu pulsieren. “Auflösung der Zeit” wirkt nicht wie ein Bild, das man einfach betrachtet, sondern wie ein Ereignis: ein Augenblick, der sich dehnt, zerspringt und uns das Rätsel der Vergänglichkeit direkt vor Augen führt.
Das Bild evoziert auf den ersten Blick eine Atmosphäre zwischen Dramatik und stiller Melancholie. Die rissige Oberfläche, das brüchige, fast urzeitlich wirkende Grün-Gelb, erinnert an verwitterte Mauern oder an ein Stück Erde, das Jahrhunderte überdauert hat. Hier spürt man die Vergänglichkeit alles Geschaffenen, das stetige Verblassen des Augenblicks.
Und doch durchschneiden klare, energische Linien die bröckelnde Fläche: Weiß, Rot, Schwarz, Gelb – wie die Zeiger einer Uhr, die sich weigert, endgültig stillzustehen. Diese Kontraste lassen eine vibrierende Spannung entstehen. Zeit ist nicht nur Zerfall, sondern auch Bewegung, Entscheidung, Richtung.
Emotional ruft das Werk zugleich ein Gefühl von Aufbruch und Loslassen hervor. Man sieht das Beharren der Strukturen und die Kraft des Bruchs. Spirituell lädt das Bild dazu ein, sich der Illusion der linearen Zeit zu entziehen und in das zeitlose Jetzt einzutreten. Sozial und politisch könnte es als Kritik an unserer getakteten Gesellschaft gelesen werden, in der Uhrzeit oft mehr zählt als inneres Erleben.
Die Fragen, die das Bild dem Betrachter stellt, sind ebenso direkt wie unbequem: “Was bleibt, wenn die Zeit zerfällt? Wer bist du jenseits deiner Stundenpläne? Was bedeutet dir Vergänglichkeit?”
In seiner Originalität hebt sich das Werk ab. Es greift das vertraute Symbol der Uhr auf, zerlegt es aber in abstrakte Fragmente. Statt mechanischer Präzision sehen wir Risse, Überlagerungen, das Pulsieren einer unkontrollierbaren Kraft. Genau dadurch entsteht ein Werk, das vertraut und fremd zugleich wirkt.
Im Gesamtwerk des Künstlers fügt sich “Auflösung der Zeit” als radikales Statement ein, ein Bild, das nicht dekoriert, sondern konfrontiert. Es fordert Auseinandersetzung, zwingt zum Innehalten, zum Fragen.
Dieses Bild ist kein leiser Begleiter für die Wand, sondern ein Tor in eine tiefere Dimension, für Sammler, die Kunst nicht als bloßes Objekt, sondern als Erfahrung begreifen. Wer es besitzt, lädt sich eine Erinnerung an die Unendlichkeit ins eigene Zuhause ein.